Zu den Huzulen

Rumänische Grenze

Ich war der einzige Grenzgänger an diesem Posten. Dafür gab es einen Grenzbeamten für den Pass, eine Beamtin für Covid und einen Zollbeamten. Der Pass war überhaupt kein Problem, die Covid Bescheinigung wurde auch nicht angeschaut, dafür wurde die Temperatur gemessen (40° +) und der Zollbeamte lief einmal um mein Fahrrad. Ich holte meine Plastikflasche mit einem winzigen Rest Wein aus der Tasche und zeigte sie ihm. Alle Anwesenden lachten. In weniger als fünf Minuten war ich in Rumänien. Fotografieren an der Grenze ist in allen Ländern bei Todesstrafe verboten.

Kopftuch

Nach der Grenze war ich in 5 Minuten im Zentrum von Sighetu. Die Sonne schien, es war warm und es gab einen kleinen Park vor einer orthodoxen Kirche. Dort platzierte ich mein Solarpanel mit dem Handy in der Sonne, lies mir meine Süßig-keiten schmecken und hörte dem Singsang des Popen zu, der aus der geöffneten Kirchentüre drang.

Irgendwann hörte der Singsang auf und die Gläubigen strömten heraus. Quer durch den Ausgang muss ein unsichtbares Band gespannt gewesen sein, das fast allen Frauen das Tuch vom Kopf wischte. Also gehört zum Kirchgang ein Kopftuch und offensichtlich auch sehr hohe Stöckelschuhe. Das Kopftuch muss außen weg die Stöckelschuhe allerdings nicht.

Das Muss ist, wie man hier sieht, ein individuelles und kein gesellschaftliches.

Kirchgang scheint nichts mit Keuschheit zu tun zu haben. Eine blanke Schulter darf man zeigen, die dazu passenden Haare aber nur außerhalb.


Das sind schon seltsame Regeln, die eine Gesellschaft aufstellt. Unser Umgang mit dem Kopftuch ist genauso seltsam. Wir erlauben es den Nonnen und verbieten ist den Musliminnen.

Iza Tal

Der Dumont Reiseführer empfahl die Fahrt durch das Iza Tal.  Man würde dort viele Pferdefuhrwerke sehen. Nun, ich habe in anderen Tälern mehr Pferdefuhrwerke gesehen. Aber das Tal war schön und die Straße neu gemacht – super!

Es begann mit schönen Häusern. Armut? In Deutschland wäre so ein handgefertigtes Haus fast unbezahlbar. Alle, die mit Holz werken, sollten beachten, dass die Ecken Schwalbenschwanz-verbindungen sind. Das ist weit verbreitet in den Karpate.

Landwirtschaft in kleinen Wirtschaftseinheiten. Kühe habe ich nur wenige gesehen. Sie waren wohl noch auf der Alm. Aber Ställe waren auch nicht sichtbar oder riechbar. 

Traditionell aufgeschichtetes Heu. Es wird mit dem Rechen von oben nach unten gekämmt, damit die Halme wie bei einem Strohdach das Wasser ableiten.

Erster Schultag in Maramures

Die Gestaltung der Anlage und die Architektur der Gebäude des Klosters Barsana hat mich sehr beeindruckt. Es wurde erstmals 1390 urkundlich erwähnt aber später aufgegeben. Die jetzige Anlage wurde ab 1993 gebaut.

2 km abseits der Kreisstraße gibt es eine radiologische Praxis. Ist das ein unterentwickeltes Land??

Und endlich kommt mal ein Pferdegespann.

Ob sich die Pferde genauso über den glatten Asphalt freuen wie ich?

Es werden auch heute noch Blockhäuser gebaut.

Blick von der Passhöhe ins benachbarte Viseu-Tal. Das ist bekannt wegen der alten Waldbahn, die weit in die einsamen Berge hinter dem Horizont fährt. Sie ist heute allerdings nur noch eine Touristen-attraktion.

Ich unterstelle zu oft das Schlechte

Man denkt doch gleich immer das Allerschlechteste. Es war 

sehr schwierig einen Zeltplatz zu finden, weil in diesem Tal jeder Quadratzentimeter bebaut ist. Ich stellte das Zelt neben eine Kehre des Schotterwegs. Da gab es einen getade ausreichend großen Grasfleck. Der war wohl öffentlich, dachte ich.  Direkt dahinter stand ein Bretterzaun, der schrie „hier privat“.

Es kam ein dickes Auto vorgefahren und ich dachte, jetzt geht die Diskussion los, dass ich hier nicht bleiben kann. Dummerweise hatte ich das Handy runtergefahren. Das Hochfahren war eine lange Prozedur und mein Gegenüber war ungeduldig. Mit Händen und Worten kam dann raus, dass sie, Mann und Frau, da oben wohnen. Sie wollten mich zum Essen einladen. Aber die Spaghetti waren am kochen. Trinkwasser und einen guten Espresso habe ich dann bekommen, denn sie wollten mir unbedingt was Gutes tun.

Kurze Zeit später kam ein junger Mann. Er musste wohl von da drüben gekommen sein, sonst hätte er mich nicht gesehen. Das ist augenscheinlich nicht die reichste Gegend.  Auch er wollte mir unbedingt etwas zu essen und zu trinken bringen. Da waren die Spaghetti schon fertig. 

Also statt Diskussion vollkommene Gastfreundschaft. Ich sollte unvoreingenommener an solche Situationen herangehen.

Europa ist überall

Passfahrt

Der Toroiaga im Abendlicht, mit 1927 m+NN einer der höchsten Gipfel im Gebiet Maramures, war sozusagen der Hausberg meines Zeltplatzes und Startpunkte für diese Fahrt. Als ich den netten Herrn, der mir Cappuccino und Wasser gebracht hat, erklärte, dass ich diesen Pass fahren will, schaute mich ein Gesicht mit vielen Fragezeichen an. Da war ich noch der Meinung, ich würde die Serpentinenstraße fahren und wusste nicht, was auf mich zukommt. Mein Gegenüber wohl schon.

Passend zu den kommunistischen Wohnblocks die Industrieruine am Ortsrand.

Hunde gibt es überall. Dieser war harmlos. Ich weiß nicht, ob er seine Schafe wirklich im Griff – oder besser im Gebiss – hat.

Er bringt seine Schafe auf die Alm,
zufrieden und noch gut zu Fuß. Eine Unterhaltung war nicht möglich. Aber er hat sich über die Begegnung und mein Interesse gefreut

Glückliche Schweine. Es geht ihnen gut. Man sieht es!

Sie leben in einem großen Gehege und haben viel Schlamm zum suhlen. 

Die Größe des Baches und der Zustand des Weges zeigten an, wie weit es noch bis zum Pass ist. Hier war es noch ein ziemliches Stück

Weiter oben in einem steilen Abschnitt mit groben Steinen kamen drei VW-Busse mit Franzosen. Der erste hielt an und sie fragten mich nach meinem Befinden. C’est tres dure. Zu mehr reichten mein Französisch und meine Verfassung nicht. Sie winkten und fuhren weiter.

Auf der Passhöhe 1460 m+NN wehte die Rumänische Fahne und außerdem ein kalter Wind, der mich veranlasste, sofort meinen Anorak anzuziehen.

Die Franzosen hatten mich schon angemeldet: da kommt noch so ein verrückter Radler. Er hier konnte gut Englisch, was die Unterhaltung wesentlich vereinfachte. Es war eine Gruppe von Slowaken, die, wie ich, eine Tour durch die Wildnis machten. Wer hier fährt weiß, dass es keine Autobahn ist (Ersatzreifen auf dem Dach). Sie schinden ihr Fahrzeug herauf. Dass ich meine Beine herauf schinde, erstaunt sie.

Dann kamen Timo und Sebastian mit ihren Motorrädern. Für die war es nicht so einfach, wie ich mir einbildete. Auch sie mussten wegen der Wegverhältnisse langsam fahren. Da ist die Stabilität gering und sie mussten das Gleichgewicht durch Körpereinsatz halten.

Über die Bergkuppe verläuft die Grenze zur Ukraine. Die hier sichtbaren Wege sind nicht in der Open Street Map enthalten. Wegen der Grenznähe fahren Rumänische Polizisten Patrouille (einer der 10 PKW pro Tag), um eventuelle Flüchtlinge abzufangen.  

Immer wieder tauchten Felsen auf.

Ganz schön frech, wie die Mähne so schräg über der Stirn liegt. So war es auch. Es roch wohl das Brot und die Äpfel in meiner Tasche. Während mir der Rumäne den genauen Standort klar machte und ich endlich begriff, dass ich nicht die Serpentinenstraße sondern irgenwo in der Pampas fuhr, wollte es das Brot aus meiner Tasche holen und schmiss dabei mein Rad um. Ungestört wollte es weiter in die Tasche beißen und nur unser Schrei verhinderte ein Loch darin.

In der Ukraine hatte ich ja schon üblen Schlamm erlebt. Aber so richtig war ich diese Wegverhältnisse noch nicht gewohnt. Auf so einem Weg fährt man am einfachsten durch die Pfützen. Sie sind i. d. R. wenig schlammig und man kommt gut durch. Füße hoch, wenn Fußbad droht.

Und immer wieder malerische Flecken

Blick von der zweiten Passhöhe in die Ukraine. Ab dem ersten Pass war der Weg wesentlich leichter zu fahren.
Kurz vor Bobeica werden die Kühe zum Melken nach Hause gebracht
Ein wenig Brennholz im Wagen, ein Lächeln im Gesicht und die Pferde sind zärtlich zueinander. 
Kann das Leben schöner sein?
Wie im Hochschwarzwald: Bobeica ca. 1250 m+NN

Rd. 50 km Schotterpiste von Haus zu Haus, dazwischen Natur pur. Die 300 m Anstieg vor dem ersten Pass waren sehr steil, der Schotter sehr grob und deshalb war dieser Abschnitt sehr anstrengend, teilweise kräfteraubend zu schieben. 10 PKW und 2 Motorräder, das war der gesamte Verkehr an diesem Tag. Sehr wenig, jedoch war ich in großer Einsamkeit nicht ganz alleine. Aber so wie einzelne Geräusche die Stille betonen, so betonen sparsame Begegnungen die Einsamkeit. Ich war froh und glücklich, dass mich Brouter diesen Weg geschickt hat. Die Anstrengung hat sich mehr als gelohnt. Die Alternative über die asphaltierte Serpentinenstraße wäre vergleichsweise erlebnisarm und ätzend laut gewesen.

Etwas weiter unten fand ich hinter einem verlassenen Haus ein Plätzchen für mein Zelt mit überdachter Sitzgelegenheit zum Kochen und Essen.

Den Track mit Höhenprofil findet man hier bei Komoot.
Ihr braucht einen eigenen Zugang zu Komoot.
Ihr müsst euch erst einloggen und dann den Track laden.
Die Höhe wird terrestrisch bestimmt, also nicht durch die aufgezeichneten GPS Daten.

Milchzentrale

Oft überlege ich im vorbeifahren: lohnt es sich anzuhalten? Und bis die Entscheidung getroffen ist, bin ich schon zu weit und fahre einfach weiter. Später ärgere ich mich, weil ich nicht angehalten habe.

Bei den Milchkannen auf den Pferdewagen habe ich jedoch eine Vollbremsung gemacht.

Ungläubig wird geschaut, was da für ein seltsamer Typ kommt. Ganz links im Bild steht ein Mann mit der traditionellen Kopfbedeckung. Das sieht man nur ganz selten.

Eifrig werden die Kannen vom Wagen gehoben, ins Haus gebracht und dort ausgeleert. Ein kleines Schwätzchen ist dabei immer möglich.

Nicht nur ich schaue zu, sondern auch die Säufer, die im Eck sitzen. Sie wollen mich zum Mittrinken überreden. Es ist ein Mister x anwesend, der nicht mitarbeitet aber offensichtlich doch etwas zu sagen hat. Er hält mir die Säufer vom Hals und wir kommen ins Gespräch.

Die beiden haben die Fuhre Milch gebracht. Mister x sagt, dass sie mehr als eine Stunde von ihrem Hof hierher gebraucht haben. Die Frau misst mit einem Peilstab den Füllstand jeder Kanne.

Die Reste werden in eine Kanne zusammen geschüttet. Nichts geht von der guten Milch verloren. Ich durfte sie probieren und mit einem Glas aus einer der Kannen schöpfen. Natürlich hat sie gut geschmeckt.

Zur Milchzentrale gehört auch ein Laden. Mister x führt mich hinein und will mir ein Stück Käse von Hochwald schenken. Ich meinte, wenn schon, dann wolle ich Käse von Rumänien und nicht von Deutschland. „Warte eine Weile“ sagt er und fährt mit seinem dicken Auto davon.

Außer Mister x gibt es noch einen Chef der Milchzentrale. Von ihm erfahre ich, das aus der Milch in diesem modernen offensichtlich Mikroprozessor gesteuerten Reaktor Quark gemacht wird. Der Quark wird zur Käserei gebracht und dort zu Käse verarbeitet. Da wird mir klar, warum Mister x mit dem Auto davon gefahren ist. Die Frage, warum im Laden der Milchzentrale deutscher Käse verkauft wird, wo sie doch selbst welchen herstellen, kannt mir der Chef wegen Sprachschwierigkeiten nicht erklären. Die Sprachschwierigkeiten rühren daher, dass Google translate nicht nur mich sondern auch den Chef nicht richtig versteht und dann sehr merkwürdige Übersetzungen hervorbringt.

Die schön geschmückten Pferde warten die ganze Prozedur mit stoischer Ruhe ab. Ich warte gern ein bisschen auf Mister x und schaue solange dem Treiben zu.

Der kommt aber bald und bringt mir diese riesen Portion Käse mit. Es wäre unhöflich, etwas davon abzulehnen. Wahrscheinlich ist der auch billiger als die 100 g Hochwald Käse. Ich habe weit über eine Woche davon gegessen.

Als ich wieder im Sattel sitze, kommt gerade der nächste Wagen mit Milchkannen angefahren.

Talfahrt

Alle nachfolgenden Angaben entstammen ausschließlich meiner Beobachtung und unterliegen deshalb der individuellen Wahrnehmung. Für die statistische Richtigkeit wird keine Gewähr gegeben. Die Höhenangaben sind in m+NN.

750 Erster vergoldeter Kirchturm

720 Erster Baustoffhandel und erster Beauty Salon

705 Fernstraße mit allem drum und dran.
Kulturschock

Gelassenheit

Ich hatte Glück. Kurz hinter Moldovita verlief ein Wiesenweg neben der alten Bahnlinie. Daneben war noch ausreichend Platz für mein Zelt. 

3 Meter weiter war ein  Bahnübergang und in dessen, den Weg kreuzenden, Verlängerung ein Tor zum Dorf. Ich dachte mir, wenn ich neben dem Weg mein Zelt aufbaue, ist noch genügend Platz für alle, die durchwollen. Gerade war der Zeltboden ausgelegt, da kam von der anderen 2 m tiefer liegenden Seite des Bahndammes ein Pferdegespann mit Heu beladen herauf. In dem Augenblick, als das Pferd mein Fahrrad erblickte, scheute es und das ganze Gespann rollte rückwärts den Darm hinab. Es war eine gefährliche Situation. Der Kutscher sprang ab, weil er Angst hatte, dass der Wagen umfällt. Glücklicherweise blieben alle unversehrt. Der Kutscher kam hoch und wir räumten gemeinsam meine Sachen aus dem Weg. Es gab kein böses Wort,  keine grimmige Miene. Er war vollkommen gelassen. Währenddessen hatte sein Vater das Pferd beruhigt und das Gespann wieder im Startposition gebracht. 

Der zweite Anlauf war problemlos und sie fuhren davon.

Ich begann mein übliches Abendprogramm, dann kam er

und kurze Zeit später er. Beide trieben sie ihr Vieh nach Hause in den Stall.

Der letzte an diesem Abend war er, Huzule, Förster und Nebenerwerbslandwirt. Er will die Tradition seiner Eltern fortführen. Auf dem elterlichen Gut sollen weiterhin Tiere leben und es soll erhalten bleiben. Er ist zufrieden mit seinem Leben. 

Wir sprachen über Armut. Ich meinte, dass laut Internet 30 % der Rumänen unter der Armutsgrenze leben,  ich aber hier zwar keinen Reichtum aber auch keine richtige Armut erkennen könnte. Alle haben gute Kleidung, ein Dach über dem Kopf, ein Auto vor dem Haus und genügend Essen. 

Nach seiner Auffassung liegt das daran,  dass die kommunistische Regierung in dieser Region keine Enteignung durchgeführt hat. Damit ist die Existenzgrundlage für die Bewohner erhalten geblieben. Sie können sich in der Waldarbeit und im öffentlichen Bereich ein Zubrot verdienen, das ihnen den bescheidenen Wohlstand ermöglicht. Anders ist das in der Walachei. Dort wurden die Menschen enteignet. Es wurden große Kolchosen gegründet, auf denen sie gegen Lohn arbeiten mussten. Die Arbeitsplätze sind sukzessive weggefallen und die Menschen verarmten. Soweit seine Erklärung.

Ich genoss gerade den Frühstückskaffee,  als die beiden vom Abend ihr Vieh wieder auf die Weide trieben. Der erste kam anschließend nochmal mit Pferd und Wagen. Auf dem Wagen lag eine Stihl Kettensäge. Ein armer Mensch leistet sich keine Stihl. Er freute sich, als ich das Tor hinter ihm zu machte. So erlebte ich einen Teil des Tagesablaufes dieser Menschen, ruhig, gelassen, zufrieden.

Mein Zelt, der Weg, der Bahndamm.

Die Sonne hat den Morgennebel noch nicht vertrieben.

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