Rumänien? Wie kommst Du denn da drauf? Da gibt es doch nur Korruption und Verschleuderung von EU-Geldern.
Träume sind nicht zu erklären. Der U-förmige Bogen der Karpaten hat mich schon immer fasziniert. Warum? Ich weiß es nicht. Gewandert wäre ich dort gerne. Bilder von Hermannstadt und Schäßburg faszinierten mich. Die Musik aus der Bergregion, die ich auf einer world music CD erstand, faszinierte mich ebenso.
Und dann kam Corona. Wohin fahre ich denn dieses Jahr. Frankreich und Spanien spielten wieder verrückt. Dann fahre ich doch meinem Traum nach.
Samstag, 4. September 2021
schwieriger Start
Ich hatte wenig Zeit und habe deshalb geplant, mit der Bahn nach Wien zu fahren. Die Tickets hatte ich online gebucht. Der Zeitpunkt war optimal gewählt: am 2.9. 2021 war der erste Tag des Lokführer Streiks. Alle gebuchten Züge fielen aus. Statt IC und ICE fuhr ich RB und RE zunächst bis Passau. Denn bei der DB war es nicht möglich, eine Fahrradkarte Passau Wien zu buchen. Bei der Suche des Anschlusszuges, der zu meiner Verspätung paste, ließ ich die ICEs außer acht, denn sie fielen ja sowieso aus und ein Fahrradticket für denselben Tag konnte ich auch nicht buchen. Ich saß in Passau auf dem Bahnsteig und wartete auf meinen Bummelzug als ein Bahnsteig weiter die Abfahrt eines ICEs nach Wien angesagt wurde. Vier Minuten Zeit. Fahrstuhl runter Fahrstuhl rauf, Sprint am Zug entlang bis zum Fahrradabteil und rein. Hinter mir schloss sich die Tür.

Bis Linz hatte ich einen ganzen Wagen für mich alleine
Da waren doch tatsächlich drei freie Fahrradplätze und die nette Schaffnerin hatte auch nichts dagegen, dass ich ohne Buchung mein Rad eingestellt hatte. Bezahlt hatte ich es ja.
Statt um 19 Uhr kam ich um 22 Uhr in Wien an und machte eine Nachtfahrt aus der Stadt hinaus und fand an der Donau einen schönen Zeltplatz. Auf die Brücke über die Donau und wieder runter fuhr ich über tolle Kreisel. So aufwändige Bauwerke für Radler findet man in Deutschland nicht. In sachen Verkehrswende machen uns die Österreicher was vor.
Das war noch nicht das Ende vom Anfang. Als ich am nächsten Morgen den heiß ersehnten Kaffee kochen wollte, tropfte aus einer Schlauchverschraubung des Kochers Benzin heraus. Das ist richtig spassig, wenn neben einer Flamme Benzin in der Gegend rum tropft. Kein Kaffee!
In einem kleinen Outdoor Shop in Bratislava bekam ich unerwartet ein Ersatzteil für läppische 10 €. Im ganzen Internet habe ich dieses Teil nicht gefunden. Die Fahrt war gerettet und meine Laune wieder hergestellt.
Der Großraum Bratislava ist ein Siedlungsbrei. Km lang reiht sich ein kleines Häuschen an das nächste. Ab und zu fuhr ich durch alte Ortskerne. Die waren ein schöne Abwechslung in der Monotonie
Einige Bilder aus der Slowakei












Weltkulturerbe
Als ich auf dieses Dorf zufuhr, hat mich zunächst der rechte Turm fasziniert. Die Lage der oberen Fenster direkt unter dem Trauf macht ihn spannend. Und ich habe mir die Zeit genommen, etwas genauer hinzusehen. Es ist eine Burg aus der Renaissance Zeit, die natürlich später mehrfach umgebaut wurde. Sie ist von einem Wassergraben umgeben, also ein wehrhafter Bau.

Die eigentliche Sehenswürdigkeit in diesem Dorf ist aber diese kleine Kirche. Sie entstand im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts und ist nach ungarischem Gesetz vollständig aus Holz gebaut ohne Metallteile. Der Turm durfte nicht mit der Kirche verbunden sein. So klein wie sie ist, hat sie Platz für 1100 Leute.

Vergleichbar mit dem schwäbischen Mann (alemannisches Fachwerk) sind die Diagonalen durch Formgebung und Einlassung in die Pfosten zugfest verbunden. Dadurch wurden metallische Verbindungselemente unnötig.

Die Schindeln sind keilförmig ineinander gefügt. Eine sehr aufwändige Methode, die aber eine schöne Formgebung des Daches zulässt.

Rassismus Slowakisch
Ich fahre verträumt die Landstraße entlang. Ein Polizeifahrzeug kommt entgegen. Keine Besonderheit. Aber diesmal hält es. Er und sie steigen aus und bedeuten mir anzuhalten. Da die Bremsen funktionieren und ich immer mit Licht fahre, halte ich ohne jegliche Bedenken an. Sie kommen zu mir. Ich krame mein Handy aus der Lenkertasche und setze ziemlich unprofessionell den Übersetzer in Gang, um zu diskutieren. Offensichtlich erkennt er deutsche Worte auf dem Display . Noch bevor die Diskussion in Gang kommt, fragt er mich, ob ich Deutscher sei. Als ich bejahe, drehen sich beide lachend um, steigen ein und fahren davon.
Was wäre wohl geschehen, wenn ich Roma gewesen wäre?
Ist das slowakisch? Nein, denn im Pfalzexpress werden auch nur fremdländisch aussehende Menschen von den durchlaufenden Polizisten kontrolliert. Es scheint europäisches Vorurteil zu sein, dass alle Menschen aus dem Süden und Osten potentielle Straftäter sind. Offensichtlich hatte ich auf meinem wild bepackten Fahrrad diesen Eindruck gemacht.
Industrieruinen
In der Slowakei bestehen ländliche Siedlungen aus kleinen meist einstöckigen Einfamilienhäusern mit viel Garten außenrum.

In Kleinstätten ist die Bebauungsdichte höher. Die Gebäude haben aber nicht mehr als zwei Geschosse.

Plötzlich steht man vor vier- bis siebengeschossigen großen Wohnblocks. Klassischer sozialistischer Wohnungsbau .
Hier sind es nur zwei direkt hinter der ursprünglichen Bebauung. Manchmal waren es aber ganze Stadtteile mit vielen solcher Blocks.

Wenn dieser sozialistische Wohnungsbau auftaucht dann ist eine größere Industrieruine nicht weit.
Hier nur das Heizwerk. Beim Rest bin ich leider vorbeigefahren.

Es sind oft beträchtlich große Anlagen. Manchmal stehen noch Schilder, z.b. „chemische Fabrik‘.
Ohne es genau zu wissen drängt sich der Eindruck auf, das unter dem kommunistischen Regime für die dort lebenden Menschen Arbeit und Wohnung geschaffen wurde. Die Betriebe waren aber nicht überlebensfähig weil möglicherweise die Logistik zu diesen abgelegenen Standorten zu teuer war oder weil die Erneuerung entsprechend dem technischen Fortschritt nicht stattgefunden hat. Mir ist völlig unklar, womit die Menschen, die nun in diesen Wohnsilos wohnen, ihren Lebensunterhalt verdienen.
Klärung findet man vielleicht in der Dissertation von
K. Horvath „Industriegebiete in der Slowakei“ 2012
Nadel und Faden
Von Anfang an war das auf und zumachen meines Schlafsackes heikel, weil sich allzu leicht das Innenfutter im Reißverschluss verklemmt. Eines Nachts musste ich raus und wieder klemmte er. Die Stirnlampe war irgendwo und ich hatte keine Lust sie raus zu kramen. Einmal kräftig gezogen und der Reißverschluss war offen – immer offen, denn als ich ihn wieder zumachen wollte, ging er von alleine wieder auf. Der Zipper war kaputt.

Ich wollte den Schlafsack ein Stück weit zunähen, aber mir fehlte eine passende Nadel. Ich bin sicher eine halbe Stunde im modernen Einkaufszentrum von Brezno herumgelaufen und habe nach Nadel und Faden gesucht. Kein Haushaltsgeschäft, keine Drogerie, kein Supermarkt hatte sowas.

Google Maps meinte es, gäbe einen Kurzwarenladen. Als ich zu diesem Punkt kam, stand ich vor einem Farbengeschäft. Ich fragte eine nette Slowakin, vor dem Laden nebenan. Sie meinte, das darf doch kein Problem sein, und schenkte mir Nadel und Faden. So etwas muss einem mal in Deutschland passieren, wo jeder Cent abgerechnet wird. Wer den Pfennig……
Am Abend setzte ich mich in mein Zelt und nähte. Seit dem schlief ich sehr gut im halb zugenähten Schlafsack
Radwege in der Slowakei
Es gibt sie. Man kann die offiziellen Radwege in Osmand einblenden.
Auf meiner Route bin ich außer in Bratislava noch einen Radweg bei Nitra gefahren. Sonst keinen. Die Radwege in Bratislava waren technisch einwandfrei und durchgängiger als in Deutschland.

Der im Nitra war kein besserer Feldweg sondern extra für Radler angelegt. Er bot auch schöne Aussichten über das Land.
Ich bin viele Straßen unterer Klassen gefahren. In meiner Erinnerung war das ziemlich geflickt und holprig. Schaue ich aber meine Bilder an, dann finde ich kaum Flicken. Meine Erinnerung überbewertet das Schlechte. Die überall üblichen Schäden vor allem am Straßenrand sind aber häufig vorhanden.

Oberhalb dieser Stelle war die Straße picobello erneuert und ich kieß es laufen. Der Wechsel kam abrupt und ich fuhr mit ca 30 km/h in diese Löcher. Außer dass es meine Lenkertasche aufgerissen hat, ist glücklicherweise nichts passiert. Diese relativ steile Abfahrt war über mehrere Kilometer kaputt. Es war aber die einzige so mangelhafte auf meiner Slowakei Route.

Die Schnellstraßen waren von hervorragender technischer Qualität und hatten immer einen breiten Seitenstreifen. Der war komfortabel zu fahren und ich habe mich darauf sehr sicher gefühlt. Selbst die LKW konnten mich überholen, ohne die Gegenfahrbahn benutzen zu müssen. Auf so einem Streifen kann man auch
mal in der Gegend herum schauen, ohne gleich eine gefährliche Situation zu provozieren. Ich bin sie häufig gefahren, wenn brouter mich über Schotterstrecken schicken wollte. Den Nachteil, dass es laut ist, habe ich dabei in Kauf genommen.
Die Bundesstraßenverwaltung der BRD könnte sich daran ein Beispiel nehmen. Wie jämmerlich ist das oft in Deutschland.

