Zwei Seiten
Hautpoul ist ein Dorf, in das sich die Katharer (12. bis 14. Jhd.) zum Schutz zurück gezogen haben. Es schmiegt sich an den steilen Hang und ist heute von dieser Seite und der Rückseite des Berges mit dem Auto anfahrbar. Hautpoul gehört zu Mazamet (10 000 E).

Die Straßen sind Steil und schmal. Sie sind nur mit kleinen Kfz befahrbar. Es gibt keine Neubauten.
Trotzdem sind alle Häuser in gutem Zustand. Es ist sehr gepflegt.
Natürlich haben hier früher Bauern gelebt. Man sieht es den Häusern noch an. Dass man heute unter diesen Verhältnissen von der Landwirtschaft nicht leben kann, ist evident. Heute lebt das Dorf überwiegend vom Tourismus. Vielleicht arbeiten einige Bewohner im nahen Mazamet.

Gepflegte alte Bausubstanz.
Mir wird immer wieder klar, dass moderne Baustoffe jeden Unsinn und damit jede Hässlichkeit möglich machen. Autogerechte Städte haben keine lebenswerte Räume und keinen Platz für Kinder.

Wenige km vorher sieht es so aus.
Die im Tal angesiedelte Industrie des 19. Jhds. ist völlig erloschen. Die Einheiten sind zu klein, um in der heutigen Wirtschaft konkurrenzfähig zu sein. Die Wasserkraft ist, anders als einst,

heute kein Standortfaktor mehr, weil sie bei heutigen Industriegrößen vernachlässigbar klein ist. Wegen des beengten Platzes ist keine Erweiterung möglich.
Zur Kapitalisierung der Landwirtschaft:
Links auf dem Hügel ist der alte Weiler – einige kleine Häuschen. Die wenigsten davon sind noch bewohnt. I. d. R. wohnen an so einem Ort noch 2 bis 3 Familien.

Die verlassenen Gebäude werden als Wirtschaftsgebäude oder Fremdenwohnung (Gîte) genutzt. Rechts stehen die neuen Wirtschaftsgebäude. Sie machen deutlich, wie groß der Hof ist und wie stark die Konzentration. Das Land ist nur scheinbar dicht besiedelt. Die Einwohnerdichte in diesem Kanton beträgt 43E/km²
So werden die Wiesen geglättet, damit man sie problemlos mähen kann. Personal wird durch Kapital ersetzt. Folglich leben immer weniger Menschen auf dem Land.

Allanche ist zentraler Ort in einer vergleichbaren Region. Durch den Schwund der ländlichen Bevölkerung hat er stark an Zentrumsfunktion verloren. Die Geschäfte sind überflüssig. Alle 4 Läden sind geschlossen, die Häuser sind unbewohnt und stehen zum Verkauf an.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Gleiche. Selbst die Bar existiert nicht mehr. Die Leute fahren zum einkaufen in den weiter entfernten aber billigeren Supermarché. Der noch vorhandene Laden am Ort hat dadurch Existenzprobleme. Einen Bäcker gibt es aber noch im neueren Teil dieses Ortes.
Ich bin durch Regionen gefahren, in denen ich vom Start am Morgen bis in den späten Nachmittag kein Baguette kaufen konnte.
Das ist nicht speziell Frankreich, das ist überall so, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse überall die gleichen sind. Nur hier fällt das Sterben auf, weil der Zusammenbruch der alten Strukturen nicht durch Tourismus oder Ansiedelung von Industrie (was auf dem Massiv Central eher als Tourismus möglich wäre) kompensiert wird.
Es darf nicht verschwiegen werden, dass die gute alte Zeit nicht gut war. Die Menschen hatten in früheren Zeiten größere Existenzprobleme. Der Roman „Die schwarzen Brüder“ ist zwar fiktiv, illustriert aber sehr gut diese Probleme. Franz Senn, Pfarrer in den Alpen, hat den Tourismus gefördert um den Lebensstandard der bäuerlichen Bevölkerung anzuheben.
Nur wo führt diese Entwicklung hin?
Albi
Die Albigenser waren eine (lokale) Untergruppe der Katharer. Die katholische Kirche wollte die Herätiker ausrotten und startete einen Albigenserkreuzzug. Brutal wurden die Menschen, denen die Stadt ihren namen gab, weggefegt. Diesen kleinen Spalt gibt es am Rand der Kathedrale, die ein Bollwerk gegen die Katharer sein sollte. Die Brutalität ist hier in Stein gegossen. Ich stand vor der Eingangsseite und dacht: nein, das fotografierst du nicht! So entstand dieses Foto.

übers Land
immer wieder schön

Ich nehme an, dass diese wehrhafte Kirche zum Schutz der lokalen Bevölkerung gebaut wurde. Nach Albi könnte ich andere Gedanken haben.

Marcillac-Vallon hat durch die Dachformen und die engen Gassen einen ganz eigenen Charakter.

Die Franzosen passen den Verkehr den vorhandenen Straßen an und nicht umgekehrt.
(gibt es in Deutschland in vergleichbaren Fällen aber auch)

Ich durchstreifte die Hinterhöfe. Da wurde deutlich, dass auch dieser Ort Schwierigkeiten hat.
Der ländliche Raum wird in Frankreich vernachlässigt. Die Beschwerden der Bewohner verpuffen.
Die Optik ist natürlich gut. Es wird nicht alles mit Neubau- und Industriegebieten zugebaut.

Conques ist ein alter Touristenort. Er entstand in einer Zeit, als viele Menschen, viel mehr als heute, nach Santiago de Compostella pilgerten. Sie übernachteten hier.

Ich musste anhalten um den richtigen Weg zu finden. Da kamen alle meine Fans hergelaufen und klatschten (oder muhten) mir zu meiner Tour de France.

verbotener Pass
Schon von weitem sah ich die Berge. Ich bin in der Auvergne.

Lange bevor von dem Pass überhaut was zu sehen war, standen schon die Schilder am Straßenrand: „Pas Peyrole fermé“. Wie kann ein knapp 1600 m hoher Pass gesperrt sein, wenn ich in den Pyrenäen bis auf 2000 m gefahren bin? Also weiter.
Im letzten Dorf vor dem Anstieg saßen die Tagesradler beim Bier und Wein zusammen. Nebenan in der Épicerie bekam ich ein Baguette und ein Stück Blauschimmelkäse, der mich sehr anlachte. Wie sollte mir, so ausgerüstet, der Aufstieg misslingen?
Nach ein paar km traf ich ihn an seinem Haus und beriet mich mit ihm, ob und wie der Pass fahrbar sei. 3 km müsste ich schieben, meinte er, und empfahl mir den Col Perthus.
Na, 3 km schieben ist kein Problem. Also weiter.

Die Barrage aus Schranke und aufgeschüttetem Schneehaufen war kein Hindernis für einen Radler. Ich musste nicht einmal abpacken.
Ich war ganz alleine auf der Straße. Mit Sicherheit kam kein Auto. Der Pass ließ sicht leicht im 2. bis 4. Gang fahren. Und diese Sonne und diese Sicht! Es war ein Traum.
Dann kam Schnee. Kein Problem, das lässt sich fahren und wenn an der Talseite nur noch ein schmaler Grasstreifen war, habe ich geschoben.
Der Frost-Tau-Wechsel hatte an mehreren Stellen Steine auf der Straße hinterlassen.

Hier war allerding Schluss. Der Streifen am Rand war über lange Strecken zu schmal, die oberen 5 cm des Schnees sulzig und, wie man ahnen kann, ziemlich bucklig. Ein Wanderer meinte, es würde weiter oben noch schlimmer und er würde mir doch sehr abraten.

Ich wollte aber den Pass wenigstens sehen. Also lief ich einen guten km weiter bis zur nächsten Kehre. Dort war der col de Redondet und ich war nun 60 m unter dem Pas Peyrol

und sah ihn!
Wenn ich aufgebe, dann muss ich die Seele besänftigen und das geht am besten mit essen. Also setze ich mich in die Sonne, genoss die Aussicht auf’s Tal, packte aus und stellte fest,

dass der Blauschimmel mich nicht nur angelacht hat sondern auch von vorzüglichster Qualität war.
Wer ganz genau hinschaut, sieht die Straße zum Col du Perthus in den Wiesen unterhalb des rechten Gipfels aufsteigen.
Es kamen noch mehr Wanderer, die mich berieten und nach meiner Reise fragten.

Keiner jedoch sagte, wie steil der Col du Perthus ist. Autofahrer merken sowas nicht. Ich wollte nach Norden, also blieb mir keine andere Wahl als ihn zu fahren. Nein, nicht fahren, 99% der 6 km habe ich geschoben.
Auch wenn ich stur war und aufgeben musste: es hat sich gelohnt. Es war eine traumhafte Fahrt in absoluter Stille. Wer googled stellt fest, dass der Pas Peyrol häufig Bestandteil der Tour de France war. Deshalb ist er bei Radlern sehr beliebt. Wenn er frei ist, ist hier sicherlich die Hölle los.
Ich hatte ihn ganz für mich alleine!
Die Frage, warum in der Auvergne auf 1600 m Schnee liegt und in den Pyrenäen auf 2000 m nicht, ließ mich nicht los.
Die beiden Abb. oben zeigen Niederschlags- und Temperaturverläufe. Puigcerda liegt in den Pyrenäen und Dienne im Gebirgsstock des Pas Peyrol. Beide Orte liegen auf ca 1000 m Höhe. Das ist wesentlich, denn mit zunehmender Höhe nimmt auch der Niederschlag stark zu und die Temperatur ab. An beiden Orten ist die Temperatur im Winter etwa gleich. Entscheidend scheint mir der Niederschlag zu sein. Er ist in der Auvergne in den Wintermonaten ca. 30 bis 40 mm höher als in den Pyrenäen M. E. ist das der Gund.

Zufrieden
Ich gab in Brouter Aurillac – Dole ein und setzte lediglich den Pas Peyrole als Wegpunkt dazwischen. Ich wollte wissen, was für eine grobe Richtung Brouter mir vorgibt. Im zweiten Durchgange fügte ich noch Issoire und Vichy als Wegpunkte ein. Die Strecke ist immerhin 456 km lang und in kürzester Zeit hatte ich den Vorschlag. Im Höhenprofil war natürlich der Aufstieg auf den Pass, danach ein weiterer kleiner Pass, dann aber gings im Wesentlichenn nur noch bergab. Ein Blick auf Google Maps Gelände zeigte mir, dass außer dem Peyrole alle übrigen wesentlichen Erhebungen umgangen wurden.
Ich fuhr also die nächsten Tage nach dieser Route und war sehr zufrieden. Dass der Peyrole wegen Schnee nicht machbar war, konnte ich Brouter nicht anlasten. Ich suchte lokal noch zwei weitere Varianten um Höhe zu sparen und durchs Tal mit weniger Gefälle aufzusteigen. Brouter hatte lauter kleine, wenig befahrene Straßen ermittelt, die sehr angenehm zu fahren waren. Auch das Höhenprofil war im Großen und Ganzen optimal.
Da ich mich schon häufiger sehr kritisch über die Routing-Programme geäußert habe, muss ich hier doch ein großes Lob aussprechen.
Mehr über Brouter habe ich hier gschrieben.
Die online-Version von Brouter findet ihr hier.
Und hier die Karte dieser Strecke incl. der Alternativrouten.
Vichy
Warum bin ich eigentlich nach Vichy gefahren? Vermutlich weil mir der Name aus dem Geschichtsunterricht bekannt war. In Vichy saß die provisorische französische Regierung für die nicht besetzten Regionen Frankreichs während der Nazizeit. Sie saß dort, weil Vichy eine Kurstadt war und es deshalb viele Hotels gab. Genau das ist der Grund, weshalb ich mich dort absolut fehl am Platz gefühlt habe. Sie war und ist mir zu mondän. Der Kurbetrieb hat abgenommen und das morbide Flair Einzug gehalten.
Ich brauchte eine neue Gaskartusche für meinen Kocher. Im ansässigen Sportgeschäft konnte die Verkäuferin mit den Begriffen Gaskocher bzw. Campingcocher nichts anfangen. In diesem Laden gab es nur Klamotten. Das passte zu meinen Gefühlen.
Aus der Stadt führte ein guter Radweg. Plötzlich stand ich vor dieser Absperrung. Durch die zwei Pfosten rechts ging es mit Mühe durch. Beine und Gepäck waren im Weg.

Ich fuhr noch 50 km und fand einen schönen Platz am Ufer des L‘ Allier. Es dauerte nicht lange und ein Mann kam vorbei. Solche Situationen vermeide ich möglichst, denn in Frankreich ist wild zelten verboten. Es war aber schnell klar, dass er nur Interesse hatte und ein Schwätzchen halten wollte. Nach dem woher und wohin wollte er mir erklären, wie ich fahren solle. Es dauerte etwas, bis mir klar war, dass seine Ortskenntnisse nach 30 km aufhörten. Viele Leute ahnen nicht, dass ich ein Handy mit detaillierten Karten darauf dabei habe.


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